Interessenausgleich: Schutz der Arbeitnehmer vor betrieblichen Krisen

Interessenausgleich Sozialplan

Wenn Unternehmen fusionieren, Abteilungen schließen oder Arbeitsplätze verlagern, stehen ganze Belegschaften vor existenziellen Fragen. Damit solche Umstrukturierungen fair verlaufen, sieht das Gesetz den sogenannten Interessenausgleich vor – eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Sie soll den Prozess transparent machen und Arbeitnehmer vor Nachteilen schützen. Dieser Leitfaden erklärt, wie der Interessensausgleich funktioniert, wann er verhandelt wird und welche Rechte Sie als Arbeitnehmer haben.

Das Wichtigste in Kürze:
  • Ein Interessenausgleich ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei geplanten Betriebsänderungen. Ziel ist es, faire Lösungen zu finden und betriebliche Veränderungen sozialverträglich zu gestalten.
  • Typische Inhalte: Zeitpunkt, Umfang und Ablauf der Maßnahmen, Auswahl der betroffenen Mitarbeiter, ggf. Kurzarbeit. Der Interessenausgleich ist freiwillig, kann aber finanzielle Folgen haben, wenn der Arbeitgeber Verhandlungen verweigert.
  • Ein Interessenausgleich mit Namensliste erleichtert dem Arbeitgeber betriebsbedingte Kündigungen, weil bestimmte Prüfungen entfallen. Arbeitnehmer, deren Rechte verletzt wurden, haben Anspruch auf Nachteilsausgleich oder Abfindung.

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Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat als Ziel

Ein Interessenausgleich ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Er legt fest, wie geplante Betriebsänderungen (wie Schließungen, Verlagerungen oder Zusammenlegungen) umgesetzt werden sollen. Ziel ist es, eine Lösung zu finden, die den Interessen des Arbeitgebers und den Belangen der Beschäftigten gerecht wird. Im Interessenausgleich wird geregelt, ob, in welchem Umfang und wann eine geplante Änderung im Betrieb stattfinden soll.

Die rechtliche Grundlage für den Interessenausgleich bietet das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Ein Interessenausgleich kommt nur dann in Betracht, wenn ein Betriebsrat existiert und mehr als 20 Arbeitnehmer im Betrieb arbeiten.

Inhalte eines Interessenausgleichs

Ein Interessensausgleich kann verschiedene Punkte umfassen:

  • Zeitpunkt der Betriebsschließung oder Schließung der betroffenen Betriebsteile
  • Anzahl der Arbeitnehmer, die entlassen werden sollen
  • Zeitrahmen für die frühestmöglichen Kündigungen
  • Kriterien zur Auswahl der zu entlassenden Mitarbeiter
  • Bestimmungen zur Kurzarbeit

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Phasen eines Interessenausgleichs

Den Interessenausgleich kann man in folgende Schritten einteilen:

Informationsphase

Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat frühzeitig und umfassend über geplante Betriebsänderungen informieren. Es besteht für den Arbeitgeber jedoch keine Pflicht zur Verhandlung über einen Interessenausgleich. Verhandelt der Arbeitgeber nicht, können ihm aber finanzielle Nachteile entstehen. Bricht der Arbeitgeber zu früh die Verhandlungen ab oder verhandelt erst gar nicht, haben Arbeitnehmer, die infolge der betrieblichen Änderungen entlassen werden oder einen anderweitigen Nachteil erleiden, einen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung bzw. Ausgleich der erlittenen Nachteile, § 113 Abs. 3 BetrVG. 

Vermittlungsphase

Können sich die Parteien nicht einigen, können sie sich an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit bzw. die Einigungsstelle zum Zwecke der Vermittlung wenden. Dazu sind sie aber nicht verpflichtet.

Ergebnis

Am Ende gibt es zwei mögliche Ergebnisse.

  1. Keine Einigung: Können sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht einigen, kommt es zu keinem Interessenausgleich. Ist die Verhandlung gescheitert, braucht der Arbeitgeber weiterhin keine Ansprüche entlassener bzw. benachteiligter Arbeitnehmer mehr zu befürchten.
  2. Einigung: Enden die Verhandlungen dagegen mit einem Interessensausgleich, muss dieser schriftlich niedergelegt werden. Vertreter von Betriebsrat und Arbeitgeber muessen auf derselben Urkunde unterschreiben

Vorteile für Arbeitnehmer & Arbeitgeber

Ein Interessenausgleich bietet sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern zahlreiche Vorteile:

Vorteile für Arbeitnehmer:
  • Mitbestimmung: Arbeitnehmer und Betriebsräte können aktiv an Entscheidungsprozessen teilnehmen
  • Frühzeitige und umfassende Information über betriebliche Veränderungen reduziert Unsicherheiten.
  • Schutz: Arbeitnehmer werden vor willkürlichen und existenzbedrohenden Entscheidungen geschützt.
Vorteile für Arbeitgeber:
  • Rechts- und Planungssicherheit: Klarheit und rechtliche Sicherheit erleichtern die Umsetzung betrieblicher Maßnahmen.
  • Verbesserung des Betriebsklimas: Transparenter Umgang und Einbindung der Belegschaft fördern Vertrauen und die Arbeitsmoral.
  • Reduzierung von Konfliktpotenzial: Frühzeitige Kommunikation mit dem Betriebsrat vermeidet und löst potenzielle Konflikte schneller.
  • Image und Reputation: Fairer Umgang mit der Belegschaft verbessert das öffentliche Image und unterstützt die Mitarbeitergewinnung und -bindung.

Ein Interessenausgleich trägt somit zu sozial verträglichen betrieblichen Veränderungen bei und berücksichtigt die Interessen beider Seiten.

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Sozialplan vs. Interessenausgleich

Neben dem Interessenausgleich spielt auch der Sozialplan eine wichtige Rolle. Der Interessenausgleich regelt den Ablauf der Betriebsänderung. Der Sozialplan enthaelt spezifische Regelungen zur wirtschaftlichen Absicherung der betroffenen Arbeitnehmer in der Zukunft. Beide Vereinbarungen werden aber oft gleichzeitig verhandelt. Anders als der Interessensausgleich, kann man den Arbeitgeber zu einem Sozialplan „zwingen“.

Beispiel für einen Interessenausgleich:

Im Jahr 2021 wurden im Zuge einer strategischen Neuausrichtung die Deutsche Bank und die Postbank enger miteinander zusammengeführt. Im Rahmen des Interessenausgleichs einigten sich die beiden Banken, die Betriebsräte und die Gewerkschaften darüber, welche Organisationseinheiten die „Deutsche“ zusammenlegt, welche Filialen sie schliesst und wie viele Arbeitsplätze sie abbaut. Zudem wurde ein Zeitplan für die Umsetzung festgelegt. Insgesamt waren 1.190 Vollzeitstellen von dieser Betriebsänderung betroffen.

Der Sozialplan beinhaltete Maßnahmen zur sozialverträglichen Gestaltung des Stellenabbaus, darunter Vorruhestand, Altersteilzeit und Aufhebungsverträge. Mitarbeiter, die kurz vor dem Renteneintritt standen, erhielten Aufhebungsverträge sowie ein Vorruhestandsgeld in Höhe von mindestens 65% ihrer letzten Gehälter bis zum Renteneintritt. Beschäftigte, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten, konnten Altersteilzeit vereinbaren, wobei sie ihre Arbeitszeit und ihr Gehalt um 50% reduzierten. Darüber hinaus wurde die Höhe der Abfindungen im Sozialplan festgelegt, wodurch viele Arbeitsverhältnisse durch Aufhebungsverträge mit Abfindungszahlungen beendet werden konnten.

“Leichtere” Kündigungen durch Interessenausgleich mit Namensliste

Bei einem Interessenausgleich mit Namensliste ist es für den Arbeitgeber tatsächlich “einfacher” mit einer Kündigung durchzukommen. Damit eine betriebsbedingte Kündigung rechtmäßig ist, muss der Arbeitgeber beweisen, dass ein “dringendes betriebliches Erfordernis” vorliegt. Zudem muss eine geeignete Sozialauswahl durchgeführt werden. Wenn man die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich im Interessenausgleich aufzählt, vermutet der Gesetzgeber ein “dringendes betriebliches Erfordernis” des Arbeitgebers. Gerichte pruefen die Sozialauswahl dann nur noch auf grobe Fehler. Für den Arbeitgeber bietet ein Interessenausgleich mit Namensliste damit den Vorteil, dass er mit weniger erfolgreichen Kündigungsschutzklagen rechnen muss. 

Anspruch auf Nachteilsausgleich

Wenn ein Interessenausgleich vereinbart wurde und sich der Arbeitgeber nicht an die Bestimmungen hält, hat das finanzielle Folgen für ihn. Ein Beispiel dafür ist die Vereinbarung, dass 50 Mitarbeitern gekündigt werden darf, der Arbeitgeber aber 100 Personen entlässt. Hier greift wiederum § 113 BetrVG, wodurch der Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung bzw. Ausgleich der erlittenen Nachteile bis zu zwölf Monate hat.1

Tipps für Arbeitnehmer

  1. Frühzeitig informieren: Informieren Sich sich möglichst schnell über die geplanten Maßnahmen und nutzen Sie die Informationsangebote Ihres Betriebsrats.
  2. Gemeinsam stark: Vernetzen Sie sich mit betroffenen Kollegen, um gemeinsam stärker aufzutreten.
  3. Rechtlichen Beistand suchen: Ziehen Sie einen spezialisierten Anwalt hinzu, um Ihre Rechte zu wahren.
  4. Weiterbildungsangebote nutzen: Machen Sie von Umschulungs- und Qualifizierungsangeboten Gebrauch, um Ihre berufliche Zukunft zu sichern.

Häufig gestellte Fragen (FAQs)

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  1. § 113 BetrVG ↩︎

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