Amazon sorgte kürzlich mit einer umfassenden Rückkehr ins Büro Richtlinie („Return-to-office“ / „RTO“) für Schlagzeilen. Ab Januar gilt bei Amazon eine Anwesenheitspflicht im Büro an fünf Tagen pro Woche – und zwar angeblich für alle Mitarbeiter. Das Unternehmen folgt damit Beispielen von anderen Firmen wie Apple, AT&T, Disney, Twitter/X und anderen. Es begründet die Pflicht zur Rückkehr ins Büro mit einer verbesserten „Zusammenarbeit innerhalb des Unternehmens“. Besonders Mitarbeiter, die während oder nach der COVID-Zeit eingestellt wurden, und nicht in Standortnähe wohnen, stehen dadurch vor einer scheinbar unmöglichen Entscheidung. Für sie lautet das Motto der neuen Regelung: Umziehen oder selber Kündigen („Relocate or Resign“). Dies wirft bei vielen Menschen die Frage auf, ob hinter diesen Maßnahmen möglicherweise noch andere Absichten stecken.
Hintergrund: Covid und Return-to-office
Amazon überraschte seine Belegschaft, als CEO Andrew Jassy vor kurzem verkündete, dass die Mitarbeiter ab Januar für volle fünf Tage pro Woche ins Büro zurück kommen müssten. Diese Entscheidung ist eine der strengsten „Return-to-office“ („RTO“ / „Rückkehr ins Büro“)-Regelungen eines großen Unternehmens seit der Pandemie.
Während Covid waren die meisten Büros geschlossen und fast alle Mitarbeiter arbeiteten „Remote“. Zumindest zeitweise waren während der Pandemie viele Unternehmen nahezu vollständig im Homeoffice. Auch Amazon gehört dazu. Homeoffice wurde während der Corona-Krise das „new normal“. Und viele Arbeitnehmer, z.B. berufstätige Eltern, haben sich nicht nur ans Home Office gewöhnt, sondern dieses auch sehr zu schätzen gelernt. Andere, die während der Pandemie eingestellt wurden, konnten nie in die Nähe des Office-Arbeitsortes ziehen.
Für viele Unternehmen blieb ein (teilweises und optionales) Angebot zum Home Office auch nach Covid erhalten. Einige davon, z.B. BMW, haben Home Office-Regelungen in Betriebsvereinbarungen mit dem Betriebsrat geregelt. Für viele Mitarbeiter, z.B. berufstätige Eltern, ist sowas natürlich Gold wert.
Andere Unternehmen – wie Amazon – machten später eine Rückkehr ins Büro für 2-3 Tage pro Woche verpflichtend. Amazons Schritt zurück zur physischen Präsenzpflicht an vollen fünf Tagen pro Woche ist aber nach unserer Kenntnis sehr ungewöhnlich. Vor allem im Technologie-Sektor, der sich gut auf Remote- und Hybridarbeit eingestellt hat. Amazon verteidigt die Entscheidung jedoch und argumentiert, dass sie zu mehr Energie, Zusammenarbeit und Verbindung innerhalb des Unternehmens geführt habe.
Herausforderung für Mitarbeiter im Homeoffice
Viele Mitarbeiter, die zuvor von zu Hause aus gearbeitet haben, stehen bei Einführung einer „relocate or resign“ Policy vor einer unmöglichen Entscheidung. Entweder sie ziehen in die Nähe eines Amazon-Hubs oder reichen (selber) ihre Kündigung ein. Dieser abrupte Wechsel hat natürlich bei vielen Mitarbeitern für Verunsicherung gesorgt. Einige denken bereits über einen Jobwechsel nach. Andere machen sich Sorgen, dass sich ihre Arbeitsbelastung durch potenzielle Kündigungen von Kollegen erhöhen könnte.
Dieses „Umziehen oder Kündigen“ („relocate or resign“) erinnert an ähnliche Programme bei anderen US-amerikanischen Unternehmen (z. B. bei Apple, AT&T, Disney, Twitter/X). Und lässt bei einigen Menschen den Verdacht aufkommen, dass es sich hier eigentlich auch um eine verdeckte Entlassungsstrategie handeln könnte. Die vermeintlich klare Botschaft „relocate or resign“ könnte also ein Vorwand sein, die Belegschaft zu verkleinern. Ohne Abfindungspakete für entlassene Mitarbeiter zahlen zu müssen.
Und das könnte auch funktionieren! Denn viele Mitarbeiter sind von dieser plötzlichen Veränderung total überrascht und stehen damit scheinbar vor einer unmöglichen Entscheidung. Entweder sie drehen Ihr Leben „auf links“ – oder sie reichen selber ihre Kündigung ein. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Viele vermuten andere Motive
Dies hat vielfach zu der Vermutung geführt, dass die Politik eine versteckte Entlassungsstrategie sein könnte. Also um Mitarbeiter – insbesondere diejenigen, die Remote-Arbeit bevorzugen oder während der Pandemie umgezogen sind – dazu zu bringen, selbst zu kündigen. „Umziehen oder kündigen“ könnte eine einfache Möglichkeit sein, die Belegschaft zu reduzieren, ohne die Kosten oder die negative Publicity formeller Entlassungen in Kauf zu nehmen. Das bietet Arbeitgebern natürlich einige Vorteile gegenüber einem „richtigen“ Stellenabbau:
- Freiwillige Kündigungen: Mitarbeiter, die Remote-Arbeit bevorzugen, könnten aufgrund der RTO-Anforderungen von selbst kündigen, was rechtliche Auseinandersetzungen vermeidet
- Kosteneinsparungen: Die Reduzierung der Belegschaft ohne formelle Entlassungen spart Abfindungszahlungen.
- Kontrolle über den Personalabbau: Arbeitgeber können indirekt ihr Talentmanagement steuern, indem sie diejenigen Mitarbeiter, die sie unbedingt behalten wollen, von der RTO ausnehmen. Und eigentlich nur die 80% „normalen Mitarbeiter durch die RTO indirekt zum Ausscheiden ermutigen
- Engagement-Indikator: Return-to-office“-Regeln könnten theoretisch auch aufzeigen, welche Mitarbeiter engagierter sind, also eine Art Selbst-Selektion bedeuten
Insgesamt könnten Return-to-office“-Programme also ein subtiler und kostengünstiger Weg für Arbeitgeber sein, Personal abzubauen – ohne die Nachteile traditioneller Entlassungen. Aber:
Bloß nicht voreilig kündigen!
Uns scheinen viele dieser Return-to-office“-Pläne ein wenig unrealistisch zu sein. Bitte einmal nachrechnen – reicht der Platz im Büro für 100% Ihrer Kollegen an fünf Tagen die Woche? Schon vor der Pandemie arbeiteten viele Unternehmen mit nur 60-70% Büroauslastung (Arbeitsplätze pro FTE).
Außerdem könnten RTOs in vielen Fällen einen Vertragsbruch, Verstöße gegen Tarifverträge bedeuten oder ohne Einbindung des Betriebsrats unwirksam sein (dazu gleich). Das macht eine Fünf-Tage-RTO-Forderung jedenfalls in Deutschland eher zu einem Bluff. Und lässt die Vermutung zu, dass es sich tatsächlich um ein verdecktes Entlassungsprogramm handeln könnte. Das vor allem diejenigen trifft, die besonders verletzlich sind oder der „Umziehen oder kündigen“-Strategie auf den Leim gehen.
Gründe gegen einen (freiwilligen) Jobwechsel
Im Ergebnis glauben wir, dass Mitarbeiter ihre Kündigung aus folgenden Gründen nicht übereilt einreichen sollten:
- Möglicher Vertragsbruch: Für Mitarbeiter, die während oder nach der Pandemie als Remote-Mitarbeiter eingestellt wurden, könnte eine vollständige Pflicht zur Rückkehr ins Büro eine Vertragsänderung oder Änderungskündigung darstellen. Diese kann nicht einfach so „angeordnet“ werden. Jedenfalls solange das Home-Office klar im Arbeitsvertrag klar geregelt ist. Falls nicht, kann jedenfalls Deutschland der Arbeitgeber aber den Arbeitsort bestimmen.
- Verstoß gegen Tarifverträge: Tarifverträge könnten Arbeitnehmer auch beim Arbeitsort und Home Office schützen.
- Fehlende Einbeziehung des Betriebsrats: Im Einzelfall wird eine Einbindung des Betriebsrats auch bei der Einführung einer Pflicht zur Präsenzarbeit erforderlich sein.
- Verlust von Abfindungszahlungen: Bei einer Kündigung verzichten Mitarbeiter auf potenzielle Abfindungszahlungen, die sie bei einer betriebsbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber erhalten würden.
- Verlust von Arbeitslosengeld: Wer freiwillig kündigt, hat in der Regel keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Und steht erstmal ohne finanzielle Unterstützung während der Jobsuche da.
- Verhandlungshebel: Wer bleibt, kann möglicherweise flexible Vereinbarungen aushandeln, wie etwa hybride Arbeit oder besondere Ausnahmeregelungen, die die Situation verbessern könnten.
- Zeitpuffer für die Jobsuche: In der aktuellen Stelle zu bleiben, bietet Stabilität, während man nach einem neuen Job sucht. Und ermöglicht einen Wechsel zu eigenen Bedingungen anstatt aus der Not heraus.
Zusammenfassung
Viele Mitarbeiter, die von einer neuen Rückkehr ins Büro-Regelung betroffen sind, stehen vor dem Dilemma, in einen Büro-Hub umzuziehen oder zu kündigen. Allerdings wird RTO, wie kürzlich bei Amazon vielfach als eine verdeckte Entlassungsstrategie angesehen. Mit dem Ziel die Belegschaft zu reduzieren, ohne die Kosten und Folgen eines großen Entlassungsprogramms zu tragen. Obwohl dies Mitarbeiter, die Remote-Arbeit bevorzugen, zum Kündigen drängt, könnte sie im Ergebnis ein Bluff sein. Denn viele Büros haben nicht die Kapazität für eine vollständige Rückkehr, und RTO könnte in vielen Fällen rechtlich anfechtbar sein. Mitarbeiter sollten also nicht überstürzt kündigen. Denn der Verbleib im Unternehmen bietet rechtlichen Schutz und Verhandlungsspielraum für eine faire Abfindung. Im Zweifelsfall kann es ratsam sein, sich mit einem Anwalt zu besprechen.
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