Kündigung wegen Zuspätkommens: Wann ist Unpünktlichkeit ein Problem?

  • Ceyda Sahin
  • 6. September 2024
  • 15:08

Die Kündigung wegen Zuspätkommens ist ein Thema, das viele Arbeitnehmer unterschätzen. Pünktlichkeit wird im Arbeitsleben oft als selbstverständlich vorausgesetzt, doch was passiert, wenn Unpünktlichkeit zur Regel wird? Wiederholtes verspätetes Erscheinen kann nicht nur zu Spannungen im Team und einem gestörten Arbeitsablauf führen, sondern auch ernsthafte rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Viele Arbeitnehmer sind sich der Risiken, die mit chronischem Zuspätkommen verbunden sind, nicht bewusst. In diesem Artikel beleuchten wir, wann Unpünktlichkeit zur Abmahnung und schließlich zur Kündigung führen kann, welche rechtlichen Rahmenbedingungen dabei eine Rolle spielen und wie Arbeitnehmer sich schützen können.

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Das Wichtigste in Kürze:
  • Zuspätkommen kann einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen. 
  • Das Zuspätkommen muss zurechenbar und zumindest fahrlässig verschuldet worden sein.
  • Die Voraussetzungen sind eine negative Prognose, Anwendung milderer Mittel & eine Interessenabwägung.
  • Als milderes Mittel kommt immer die Abmahnung in Betracht.

Gesetzliche Grundlagen für eine Kündigung wegen Zuspätkommens

Im deutschen Arbeitsrecht ist klar geregelt, unter welchen Bedingungen Zuspätkommen eine Kündigung rechtfertigen kann. Laut § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt und unwirksam, wenn sie nicht durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers, in der Person des Arbeitnehmers oder durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Unpünktlichkeit fällt in die Kategorie des „verhaltensbedingten Kündigungsgrundes“. Damit eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt ist, muss ein Pflichtverstoß seitens des Arbeitnehmers vorliegen. Daneben wird eine negative Prognose verlangt.

Die negative Prognose bei einer Kündigung wegen Zuspätkommens bedeutet, dass der Arbeitgeber davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer auch künftig weiterhin unpünktlich sein wird. Diese Einschätzung basiert auf dem bisherigen Verhalten des Arbeitnehmers. Die Kündigung muss das mildeste Mittel sein. Daher ist meist noch eine Abmahnung nötig, bevor zum schwerwiegenden Mittel der Kündigung gegriffen werden darf. Zuletzt muss eine Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfallen. Dabei werden die Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers miteinander abgewogen. Erst wenn die Gründe des Arbeitgebers schwerer wiegen als die Interessen des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, kann eine Kündigung wegen Zuspätkommen sozial gerechtfertigt sein.

Zuspätkommen als Pflichtverstoß

Doch wann stellt das Zuspätkommen einen Pflichtverstoß dar? Die genauen Arbeitszeiten eines Arbeitnehmers sind in der Regel im Arbeitsvertrag oder einem geltenden Tarifvertrag festgelegt. Wird dort keine spezifische Uhrzeit angegeben, hat der Arbeitgeber normalerweise eine Weisung erteilt, wann die Mitarbeiter erscheinen sollen. Moderne Unternehmen haben oft elektronische Zeiterfassungssysteme, um die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter präzise zu dokumentieren. Ist eine feste Uhrzeit vorgegeben, muss der Arbeitnehmer pünktlich zu diesem Zeitpunkt am Arbeitsplatz erscheinen – weder früher noch später. Solche strikten Regeln findet man insbesondere in Betrieben, in denen die gleichzeitige Anwesenheit aller Mitarbeiter für den reibungslosen Ablauf der Arbeitsprozesse unabdingbar ist.

Für „Spätkommer“ und Frühaufsteher sind flexible Gleitzeitregelungen besonders vorteilhaft. Diese ermöglichen es den Arbeitnehmern, ihre Arbeitszeit innerhalb eines bestimmten Zeitfensters flexibel zu gestalten. Jedoch müssen sie spätestens zum Ende der Gleitzeit im Büro sein.

Nicht jedes Verhalten, das den festgelegten Arbeitszeiten widerspricht, ist automatisch als Arbeitszeitverstoß zu werten. Der Grund für die Verspätung spielt eine entscheidende Rolle. Die Unpünktlichkeit muss dem Arbeitnehmer zurechenbar sein und zumindest fahrlässig verschuldet worden sein.

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Beispiel für einen Pflichtverstoß

Beispielsweise gilt eine Verspätung in der Regel als unverschuldet, wenn der Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit in einen Unfall verwickelt wurde oder Erste Hilfe leisten musste. Die meisten verkehrsbedingten Verspätungen sind jedoch in der Verantwortung des Arbeitnehmers, da er das sogenannte Wegerisiko trägt. Mitarbeiter müssen daher mögliche Verspätungen einkalkulieren und frühzeitig Maßnahmen ergreifen, um pünktlich zu erscheinen (AG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.07.2001 – Az. 1 Ca 1273/01). Dies betrifft Verspätungen durch Berufsverkehr, Staus, angekündigte Streiks der öffentlichen Verkehrsmittel, ein defektes Fahrzeug oder schlechte Witterungsbedingungen.

Wenn ein Arbeitnehmer wegen übermäßigen Alkoholkonsums am Vorabend verschlafen hat oder den Wecker nicht gestellt hat, liegt die Schuld selbstverständlich bei ihm. Auch das Überhören des Weckers wegen der Einnahme von Medikamenten aufgrund chronischer Schlaflosigkeit fällt in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers. In solchen Fällen sollte der Arbeitnehmer einen Arzt aufsuchen und sich gegebenenfalls krankschreiben lassen (LAG Köln, Urteil vom 20.10.2008 – Az. 5 Sa 746/08).

💡Beachte: In Betrieben mit zehn oder weniger Mitarbeitern (Kleinbetrieben) oder bei Arbeitnehmern, die weniger als sechs Monate im Unternehmen sind, gilt ein deutlich eingeschränkter Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber kann in diesen Fällen auch ohne besonderen Kündigungsgrund kündigen – selbst eine geringfügige Unpünktlichkeit kann dann bereits als ausreichender Grund herangezogen werden.

Abmahnung als Vorstufe zur Kündigung wegen Zuspätkommens

Bevor eine Kündigung ausgesprochen werden kann, ist in den meisten Fällen eine Abmahnung erforderlich. Die Abmahnung dient als Warnung und gibt dem Arbeitnehmer die Gelegenheit, sein Verhalten zu ändern. 

Inhaltliche Anforderungen an Abmahnung

Als milderes Mittel muss zuerst abgemahnt werden, bevor man kündigen darf. Dabei müssen folgende Punkte beachtet werden:

1. Genaue Beschreibung des Fehlverhaltens: Die Abmahnung muss präzise darlegen, wann und wie oft der Arbeitnehmer zu spät gekommen ist.

2. Ermahnung und Aufforderung zur Verhaltensänderung: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer nachdrücklich darauf hinweisen, dass unpünktliches Erscheinen nicht akzeptiert wird.

3. Hinweis auf mögliche Konsequenzen: Es muss klar gemacht werden, dass bei weiteren Verspätungen eine Kündigung droht. Erst wenn das geschieht, liegt nicht mehr nur eine Ermahnung vor, sondern eine Abmahnung.

Eine Abmahnung kann mündlich oder schriftlich erfolgen, wobei die schriftliche Form zu Beweiszwecken vorzuziehen ist. Wichtig ist, dass die Abmahnung den Zweck der Verhaltensänderung verfolgt und nicht nur als Mittel zur späteren Kündigung genutzt wird.

Zudem ist der zeitliche Abstand zwischen den Abmahnungen relevant. Mehrere Abmahnungen mit langen Zeitabständen verlieren an Wert. 

Rechtfertigung einer Abmahnung

Ob eine Abmahnung aufgrund von Zuspätkommen gerechtfertigt ist, hängt vom jeweiligen Einzelfall und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ab. Langjährige, stets pünktliche Mitarbeiter, die einmalig wenige Minuten zu spät kommen, müssen keine Abmahnung befürchten. Auch häufige Verspätungen von wenigen Sekunden rechtfertigen normalerweise keine Abmahnung. Eine Abmahnung wird erst dann verhältnismäßig, wenn die Unpünktlichkeit konkrete betriebliche Folgen hat oder sich wiederholt.

Abmahnungen sind gerechtfertigt, wenn durch die Verspätung erhebliche betriebliche Störungen entstehen, besonders bei Arbeiten mit festen Fristen oder Kundenkontakt. Beispiele sind ein Supermarktkassierer, der eine Stunde nach Ladenöffnung erscheint und lange Warteschlangen verursacht, ein Architekt, der verspätet zu einer Baubesprechung kommt, oder ein Anwalt, der einen Gerichtstermin verpasst. Einzelne, geringfügige Verspätungen ohne betriebliche Nachteile rechtfertigen in der Regel keine Abmahnung.

Entbehrlichkeit einer Abmahnung

Nur wenn schon im Voraus absehbar ist, dass selbst eine Abmahnung keine Verhaltensänderung bewirken wird, oder wenn es sich um eine äußerst schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, kann auf die Abmahnung verzichtet werden. In der Regel ist jedoch von einer erforderlichen Abmahnung auszugehen.

Reaktionsmöglichkeiten auf eine Abmahnung

Wer eine Abmahnung oder Kündigung wegen Zuspätkommen erhält, hat verschiedene Reaktionsmöglichkeiten. Im Falle einer Abmahnung kann der betroffene Mitarbeiter beispielsweise das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen, den Betriebsrat einbeziehen, eine schriftliche Gegendarstellung verfassen oder vor dem Arbeitsgericht Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte einreichen. Welche Vorgehensweise im konkreten Fall am besten ist, hängt von den individuellen Umständen ab. Es ist also ratsam, einen spezialisierten Fachanwalt für Arbeitsrecht heranzuziehen.

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Kündigung wegen Zuspätkommen

Unpünktlichkeit ist grundsätzlich ein steuerbares Verhalten und kann daher eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen. Für die Wirksamkeit der Kündigung wegen Zuspätkommen ist eine negative Zukunftsprognose erforderlich. Wenn die Gründe für die berechtigten Abmahnungen wegfallen, ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt. 

Beispiele für eine Kündigung wegen Zuspätkommens
  • Alleinerziehender Arbeitnehmer: Tritt die Verspätung auf, weil der Kindergarten erst mit Arbeitsbeginn öffnet, können die Verspätungen entfallen, sobald die Kinder zur Schule gehen oder sich die Öffnungszeiten des Kindergartens ändern.
  • Umzug: Zieht der Arbeitnehmer um und ist nicht mehr auf unzuverlässige öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, könnten die Verspätungen vermieden werden.

In solchen Fällen entfällt die Grundlage für eine Kündigung, da zukünftig keine weiteren Pflichtverstöße mehr zu erwarten sind.

Weiterhin müssen vorrangig mildere Mittel angewendet werden. Bei der verhaltensbedingten Kündigung kommt hierfür i.d.R. die Abmahnung in Betracht. Dem Arbeitnehmer müssen vor einer Kündigung (mehrere) Abmahnungen wegen ähnlicher Pflichtverstöße innerhalb eines bestimmten Zeitraums erteilt worden sein. Die Anzahl der erforderlichen Abmahnungen hängt von den Umständen des Einzelfalls und der Schwere der Pflichtverstöße ab. Bei leichteren Verspätungen sind in der Regel mindestens drei Abmahnungen erforderlich. Der zeitliche Abstand zwischen den Abmahnungen ist ebenfalls von Bedeutung. Drei Abmahnungen im Abstand von jeweils fünf Jahren reichen beispielsweise nicht aus, da die Rüge- und Warnfunktion der Abmahnungen im Laufe der Zeit an Bedeutung verliert.

Interessenabwägung

Weitere entscheidende Faktoren, die bei der Interessenabwägung eine Rolle spielen können, sind:

  • Häufigkeit der Verspätungen: Wie oft ist der Arbeitnehmer zu spät gekommen?
  • Dauer der Verspätungen: Wie lange dauerten die Verspätungen jeweils?
  • Gründe für die Verspätungen: Was waren die Ursachen für das Zuspätkommen?
  • Bemühungen zur Pünktlichkeit: Hat der Arbeitnehmer trotz Schwierigkeiten versucht, pünktlich zu sein?
  • Störung des Betriebsablaufs: Wie stark wurde der Betriebsablauf durch die Verspätungen beeinträchtigt?
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit: Wie lange ist der Arbeitnehmer bereits im Unternehmen tätig?
  • Bisheriges Verhalten: Hat der Arbeitnehmer bisher seine Pflichten erfüllt und sich korrekt verhalten?
  • Chancen auf dem Arbeitsmarkt: Wie gut sind die beruflichen Perspektiven des Arbeitnehmers, insbesondere wenn er unterhaltspflichtige Kinder hat?

Erst wenn diese Voraussetzungen (negative Prognose, Abmahnung als milderes Mittel & Interessenabwägung) erfüllt sind, ist die Kündigung sozial gerechtfertigt und damit wirksam.

Fristlose Kündigung wegen Zuspätkommen

Eine fristlose Kündigung ist nur in schwerwiegenden Fällen gerechtfertigt, wenn dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Beispiele für schwerwiegende Fälle sind extreme Häufigkeit oder gravierende Auswirkungen der Verspätungen auf den Betriebsablauf. Eine fristlose Kündigung kann beispielsweise erwogen werden, wenn die Verspätungen so erheblich sind, dass sie als Arbeitsverweigerung interpretiert werden könnten. Allerdings sind die Anforderungen für eine derartige Kündigung äußerst streng.

So wehren Sie sich gegen eine Kündigung wegen Zuspätkommen

Arbeitnehmer haben die Möglichkeit, gegen eine verhaltensbedingte Kündigung Klage vor dem Arbeitsgericht einzureichen. Ein häufiger Grund für die Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Zuspätkommens ist eine fehlerhafte oder fehlende Abmahnung. Das Arbeitsgericht prüft dann, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Beachten Sie, dass Sie für das Einreichen einer Kündigungsschutzklage zwingend die dreiwöchige Frist beachten müssen. Ansonsten gilt die Kündigung als rechtlich wirksam.

Vorsicht vor Arbeitszeitbetrug bei Zuspätkommen

Arbeitnehmer, die zu spät zur Arbeit kommen, sollten keinesfalls auf Arbeitszeitbetrug zurückgreifen. Es ist wichtig, die Verspätung ehrlich dem Vorgesetzten zu melden und sich zu entschuldigen. Wer hingegen falsche Angaben über seine Anwesenheit macht, beispielsweise unkorrekte Arbeitszeiten einträgt, riskiert eine fristlose Kündigung. In solchen Fällen kann der Arbeitgeber oft auch ohne vorherige Abmahnung handeln, wodurch die Chance, das Arbeitsverhältnis durch zukünftiges korrektes Verhalten zu retten, entfällt.

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