Aktuelle BAG-Entscheidung zur Krankschreibung: Beweiswert reduziert?

  • Nora Mueller
  • 16. Dezember 2024
  • 6:13

Wenn eine Kündigung und eine Krankmeldung unmittelbar zusammenfallen und der Arbeitnehmer direkt im Anschluss an Kündigungsfrist und Krankmeldung eine neue Stelle antritt, misstrauen viele Arbeitgeber der Krankmeldung. Die Richter des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sahen das in einer aktuellen Entscheidung genauso. In solchen Fällen kann daher die Krankschreibung Beweiswert verlieren. Was das für Arbeitnehmer bedeutet, die krank sind, erfahren Sie in dem folgenden Blogartikel.

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Einleitung: Beweiswert der Krankschreibung

Wer krank ist, muss nicht arbeiten. Arbeitnehmer, die erkranken, müssen sich also keine Sorgen um ihren Lohn machen. Für bis zu sechs Wochen erhalten sie weiterhin das volle Gehalt, danach übernimmt die Krankenkasse das Krankengeld. Das regelt das Entgeltfortzahlungsgesetz.

Der Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit erfolgt durch eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU), auch als “gelber Schein” bekannt. Der hat bei Krankschreibung einen hohen Beweiswert, der nur durch konkrete Hinweise erschüttert werden kann. Das kann aber unter anderem dann der Fall sein, wenn sich ein Arbeitnehmer nach einer Kündigung krankmeldet und das Attest exakt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ausgestellt ist. Das hat das BAG in einem Urteil vom 13. Dezember 2023 klargestellt (Az.: 5 AZR 137/23).

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

In dem Fall hatte ein Zeitarbeiter, der seit März 2021 für eine “Verleihfirma” arbeitete, am 2. Mai 2022 eine AU wegen einer Atemwegserkrankung eingereicht. Das Attest bescheinigte seine Arbeitsunfähigkeit bis zum 6. Mai 2022. Am selben Tag kündigte die Zeitarbeitsfirma das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2022. Der Arbeitnehmer verlängerte die Krankschreibung mit einem weiteren Attest bis zum 20. Mai und reichte ein weiteres Attest ein, das ihn bis zum 31. Mai 2022 für arbeitsunfähig erklärte, wobei als zusätzliche Diagnose ein “Stresszustand” genannt wurde.

Die Verleihfirma zweifelte an der Echtheit der Krankschreibung und verweigerte die Entgeltfortzahlung. Das passgenaue Ende des Arbeitsverhältnisses und die Krankmeldung führten zu Verdacht einer missbräuchlicher Krankmeldung – so der Arbeitgeber. Der argumentierte, dass der Beweiswert der AU erschüttert sei. Der Arbeitnehmer klagte daraufhin auf Lohnfortzahlung – und bekam vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht Recht. Die Verleihfirma wollte das nicht akzeptieren – und so landete der Fall vor dem BAG.

Ähnliche Fälle und BAG-Urteil von 2021

Streitigkeiten über den Beweiswert von Krankschreibungen sind keine Seltenheit. Bereits 2021 entschied das BAG, dass die Krankschreibung einer Arbeitnehmerin, die sich nach ihrer Eigenkündigung am selben Tag krank meldete, verminderte Beweiskraft hat. Auch hier fielen Kündigung und AU zeitlich exakt zusammen, was das BAG dazu brachte, den Beweiswert der AU als erschüttert anzusehen.

BAG: Es spielt keine Rolle, wer kündigt

In der aktuellen Entscheidung zu dem oben dargestellten Fall stellte das BAG zunächst klar, dass es für die Beweiskraft der AU keinen Unterschied macht, ob der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber kündigt (hier war es ja die Verleihfirma, die gekündigt hatte).

Hinsichtlich der Beweiskraft der AU war es die zeitliche Nähe zwischen Kündigung und Krankmeldung sowie die Krankschreibung, die genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ausgestellt wird, die den Beweiswert der AU erschütterten. Diese “Kombination” wurden laut BAG in der Vorinstanz also nicht ausreichend berücksichtigt, weshalb das BAG die Entscheidung aufhob. Der Kläger muss nun also vor dem Landesarbeitsgericht nachweisen, dass er tatsächlich krank war.

Was bedeutet das für Arbeitnehmer?

Mit dieser Entscheidung des BAG entfällt bei Krankschreibung der Beweiswert der AU natürlich nicht komplett. Nur bei Krankschreibungen, die unmittelbar nach einer Kündigung erfolgen, wird die AU nur stärker hinterfragt werden.

Das bedeutet aber nicht, dass Arbeitnehmer den Anspruch auf Lohnfortzahlung verlieren, wenn der Beweiswert einer AU erschüttert wird. In solchen Fällen muss der Arbeitnehmer “nur” selbst beweisen, dass er tatsächlich erkrankt war. Er kann also ärztliche Befunde vorlegen oder den Arzt als Zeugen benennen. Die Entscheidung bedeutet also nicht, dass der Anspruch auf Lohnfortzahlung grundsätzlich entfällt, wenn man am Ende seiner Tätigkeit krank wird. Der Schutz der Arbeitnehmer bleibt bestehen. Allerdings werden Arbeitgeber in Zukunft verstärkt auf Krankmeldungen achten, die mit Kündigungen zusammenfallen.

Anwaltliche Hilfe empfehlenswert

Bei Gehaltsverweigerung des Arbeitgebers wegen angeblich fehlendem Beweiswert der AU sollten Arbeitnehmer daher rechtzeitig anwaltliche Hilfe suchen. Verweigert der Arbeitgeber die Zahlung des Gehalts aufgrund von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit, sollte der Arbeitnehmer schnell einen Anwalt einschalten. Ein Anwalt kann den Fall prüfen, den Arbeitgeber zur Zahlung auffordern und gegebenenfalls eine Klage beim Arbeitsgericht einreichen.

Wichtig ist auch, dass keine Ausschlussfristen versäumt werden, die den Anspruch auf Lohnfortzahlung gefährden könnten. Viele Arbeits- oder Tarifverträge enthalten solche Fristen, die festlegen, dass Ansprüche innerhalb einer bestimmten Zeit geltend gemacht werden müssen. Wird diese Frist versäumt, verliert der Arbeitnehmer also seinen Anspruch dauerhaft, auch wenn er im Recht ist. Typische Ausschlussfristen liegen meist zwischen 3-6 Monaten (z.T. noch kürzer). Daher ist es wichtig, frühzeitig anwaltlichen Rat einzuholen, um den Verlust von Ansprüchen zu vermeiden.

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