In Zeiten betrieblicher Umbrüche wie Fusionen, Massenentlassungen oder Unternehmensumstrukturierungen stehen viele Arbeitnehmer vor großen Unsicherheiten. Der Begriff “Interessenausgleich” fällt in diesem Zusammenhang häufig. Dieser Schutzmechanismus soll sicherstellen, dass Veränderungen im Unternehmen nicht zu Lasten der Arbeitnehmer gehen. Aber wie funktioniert dieser Interessenausgleich genau und wie können Mitarbeiter davon profitieren? In diesem Leitfaden erklären wir, warum der Interessenausgleich wichtig ist, welche Gesetze es gibt und wie Sie als Mitarbeiter Ihre Rechte schützen können.
Das Wichtigste in Kürze:
- Ein Interessenausgleich ist eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, die das Vorgehen bei geplanten Betriebsänderungen regelt.
- Ziel ist es, einvernehmliche Lösungen zu finden, Transparenz zu schaffen und Arbeitnehmer zu schützen.
- Durch einen Interessenausgleich mit Namensliste kann der Arbeitgeber “leichter” kündigen
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Inhalte
- Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat als Ziel
- Drei Phasen eines Interessenausgleichs
- Vorteile für Arbeitnehmer & Arbeitgeber
- Sozialplan vs. Interessenausgleich
- “Leichtere” Kündigungen durch Interessenausgleich mit Namensliste
- Gesetzlicher Anspruch des Arbeitnehmers auf Nachteilsausgleich
- Tipps für Arbeitnehmer
Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat als Ziel
Ein Interessenausgleich ist eine Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, die das Vorgehen bei geplanten Betriebsänderungen regelt, wie Schließungen, Verlagerungen, Zusammenlegungen und größere Betriebsteilstilllegungen. Ziel des Interessenausgleichs ist es, eine einvernehmliche Lösung zu finden, die den betrieblichen Erfordernissen des Arbeitgebers und den Interessen der Belegschaft gerecht wird. Der Interessenausgleich regelt dabei die Fragen, ob und in welchem Umfang eine betriebliche Änderung durchgeführt wird sowie die Frage, wann eine solche Änderung umgesetzt wird
Da betriebliche Änderungen auch Betriebseinschränkungen oder Betriebsstillegungen zur Folge haben können, sind Nachteile für Arbeitnehmer wie beispielsweise Entlassungen möglich. Aber auch die örtliche Verlagerung eines Betriebs führt dazu, dass Arbeitnehmer höhere Fahrtkosten haben oder sogar den Wohnort wechseln müssen.
Die rechtliche Grundlage für den Interessenausgleich bietet das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Ein Interessenausgleich kommt nur dann in Betracht, wenn überhaupt ein Betriebsrat existiert und mehr als 20 Arbeitnehmer im Betrieb arbeiten.
Inhalte eines Interessenausgleichs
Ein Interessenausgleich kann verschiedene Punkte umfassen:
- Zeitpunkt der Betriebsschließung oder Schließung der betroffenen Betriebsteile
- Anzahl der Arbeitnehmer, die entlassen werden sollen
- Zeitrahmen für die frühestmöglichen Kündigungen
- Kriterien zur Auswahl der zu entlassenden Mitarbeiter
- Bestimmungen zur Kurzarbeit
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Drei Phasen eines Interessenausgleichs
Den Interessenausgleich kann man in folgende Schritten einteilen:
Informationsphase
Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat frühzeitig und umfassend über geplante Betriebsänderungen informieren. Es besteht für den Arbeitgeber jedoch keine Pflicht zur Verhandlung über einen Interessenausgleich. Verhandelt der Arbeitgeber nicht, können ihm aber finanzielle Nachteile entstehen. Bricht der Arbeitgeber zu früh die Verhandlungen ab oder verhandelt erst gar nicht, haben Arbeitnehmer, die infolge der betrieblichen Änderungen entlassen werden oder einen anderweitigen Nachteil erleiden, einen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung bzw. Ausgleich der erlittenen Nachteile, § 113 Abs. 3 BetrVG.
Vermittlungsphase
Können sich die Parteien nicht einigen, können sie sich an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit bzw. die Einigungsstelle zum Zwecke der Vermittlung wenden. Dazu sind sie aber nicht verpflichtet.
Ergebnis
Am Ende gibt es zwei mögliche Ergebnisse.
- Keine Einigung: Können sich Betriebsrat und Arbeitgeber nicht einigen, kommt es zu keinem Interessenausgleich. Denn der Arbeitgeber kann zu so einem nicht gezwungen werden. Ist die Verhandlung gescheitert, braucht der Arbeitgeber weiterhin keine Ansprüche entlassener bzw. benachteiligter Arbeitnehmer mehr zu befürchten, da er sich ernsthaft auf Verhandlungen eingelassen hat.
- Einigung: Enden die Verhandlungen dagegen mit einem Interessenausgleich, muss dieser schriftlich niedergelegt und vom Betriebsrat sowie vom Arbeitgeber eigenhändig auf derselben Urkunde unterschrieben werden.
Vorteile für Arbeitnehmer & Arbeitgeber
Ein Interessenausgleich bietet sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern zahlreiche Vorteile:
Vorteile für Arbeitnehmer:
- Mitbestimmung: Arbeitnehmer und Betriebsräte können aktiv an Entscheidungsprozessen teilnehmen, wodurch das Gefühl der Zugehörigkeit gestärkt wird.
- Transparenz: Frühzeitige und umfassende Information über betriebliche Veränderungen reduziert Unsicherheiten und Gerüchte.
- Schutz: Arbeitnehmer werden vor willkürlichen und existenzbedrohenden Entscheidungen geschützt.
Vorteile für Arbeitgeber:
- Rechts- und Planungssicherheit: Klarheit und rechtliche Sicherheit erleichtern die Umsetzung betrieblicher Maßnahmen.
- Verbesserung des Betriebsklimas: Transparenter Umgang und Einbindung der Belegschaft fördern Vertrauen und die Arbeitsmoral.
- Reduzierung von Konfliktpotenzial: Frühzeitige Kommunikation mit dem Betriebsrat vermeidet und löst potenzielle Konflikte schneller.
- Image und Reputation: Fairer Umgang mit der Belegschaft verbessert das öffentliche Image und unterstützt die Mitarbeitergewinnung und -bindung.
Ein Interessenausgleich trägt somit zu sozial verträglichen betrieblichen Veränderungen bei und berücksichtigt die Interessen beider Seiten, was zu einer Win-Win-Situation führt.
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Sozialplan vs. Interessenausgleich
Neben dem Interessenausgleich spielt auch der Sozialplan eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zum Interessenausgleich, der den Ablauf der Betriebsänderung regelt, bietet der Sozialplan spezifische Regelungen zur wirtschaftlichen Absicherung der betroffenen Arbeitnehmer in der Zukunft. Beide Vereinbarungen werden aber oft gleichzeitig verhandelt. Anders als der Interessenausgleich, kann der Arbeitgeber aber zu einem Sozialplan gezwungen werden.
Beispiel für einen Interessenausgleich:
Im Jahr 2021 wurden im Zuge einer strategischen Neuausrichtung die Deutsche Bank und die Postbank enger miteinander zusammengeführt. Im Rahmen des Interessenausgleichs einigten sich die beiden Banken, die Betriebsräte und die Gewerkschaften darüber, welche Organisationseinheiten zusammengelegt, welche Filialen geschlossen und wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden sollten. Zudem wurde ein Zeitplan für die Umsetzung festgelegt. Insgesamt waren 1.190 Vollzeitstellen von dieser Betriebsänderung betroffen.
Beispiel für einen Sozialplan:
Der Sozialplan beinhaltete Maßnahmen zur sozialverträglichen Gestaltung des Stellenabbaus, darunter Vorruhestand, Altersteilzeit und Aufhebungsverträge. Mitarbeiter, die kurz vor dem Renteneintritt standen, erhielten Aufhebungsverträge sowie ein Vorruhestandsgeld in Höhe von mindestens 65% ihrer letzten Gehälter bis zum Renteneintritt. Beschäftigte, die das 55. Lebensjahr vollendet hatten, konnten Altersteilzeit vereinbaren, wobei sie ihre Arbeitszeit und ihr Gehalt um 50% reduzierten. Darüber hinaus wurde die Höhe der Abfindungen im Sozialplan festgelegt, wodurch viele Arbeitsverhältnisse durch Aufhebungsverträge mit Abfindungszahlungen beendet werden konnten.
“Leichtere” Kündigungen durch Interessenausgleich mit Namensliste
Bei einem Interessenausgleich mit Namensliste ist es für den Arbeitgeber tatsächlich “einfacher” mit einer Kündigung durchzukommen. Damit eine betriebsbedingte Kündigung rechtmäßig ist, muss der Arbeitgeber beweisen, dass ein “dringendes betriebliches Erfordernis” vorliegt. Zudem muss eine geeignete Sozialauswahl durchgeführt werden. Werden die zu kündigenden Arbeitnehmer namentlich im Interessenausgleich aufgezählt, wird ein “dringendes betriebliches Erfordernis” des Arbeitgebers vermutet. Außerdem wird die Sozialauswahl nur auf grobe Fehler geprüft. Für den Arbeitgeber bietet ein Interessenausgleich mit Namensliste damit den Vorteil, dass er mit weniger erfolgreichen Kündigungsschutzklagen rechnen muss.
Gesetzlicher Anspruch des Arbeitnehmers auf Nachteilsausgleich
Wenn ein Interessenausgleich vereinbart wurde und sich der Arbeitgeber nicht an die Bestimmungen hält, hat das finanzielle Folgen für ihn. Ein Beispiel dafür ist die Vereinbarung, dass 50 Mitarbeitern gekündigt werden darf, der Arbeitgeber aber 100 Personen entlässt. Hier greift wiederum § 113 BetrVG, wodurch der Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf Abfindung bzw. Ausgleich der erlittenen Nachteile bis zu zwölf Monate hat.
Tipps für Arbeitnehmer
1. Frühzeitig informieren: Informieren Sich sich möglichst schnell über die geplanten Maßnahmen und nutzen Sie die Informationsangebote Ihres Betriebsrats.
2. Gemeinsam stark: Vernetzen Sie sich mit betroffenen Kollegen, um gemeinsam stärker aufzutreten.
3. Rechtlichen Beistand suchen: Ziehen Sie einen spezialisierten Anwalt hinzu, um Ihre Rechte zu wahren.
4. Weiterbildungsangebote nutzen: Machen Sie von Umschulungs- und Qualifizierungsangeboten Gebrauch, um Ihre berufliche Zukunft zu sichern.
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