Verhaltensbedingte Kündigung: Voraussetzungen und Beispiele

  • Frank Broer
  • 29. April 2025
  • 12:31
Verhaltensbedingte Kündigung

Eine verhaltensbedingte Kündigung gehört zu den drei nach dem Kündigungsschutzgesetz zulässigen Kündigungsarten. Der Arbeitgeber kann „verhaltensbedingt“ kündigen, wenn eine schwere und schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vorliegt. Diese Pflichtverletzung kann in unterschiedlichen Bereichen liegen, zum Beispiel im „Leistungsbereich“ (wie z.B. bei dauerndem Zuspätkommen). Die Anforderungen der Gerichte an eine wirksame verhaltensbedingte Kündigung sind hoch. Und fast immer ist auch eine vorherige Abmahnung erforderlich. Der folgende Artikel erklärt Anforderungen, Folgen für Arbeitslosengeld und Abfindungen – und was man tun sollte, wenn man eine „verhaltensbedingte“ Kündigung erhält.

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Das Wichtigste auf einen Blick:
  • Pflichtverletzung: Ein Arbeitgeber kann “verhaltensbedingt” kündigen, wenn dem Arbeitnehmer eine schwere und schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen ist.
  • Abmahnung: Fast immer muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Kündigung abmahnen.
  • Interessenabwägung: Häufig sind verhaltensbedingte Kündigungen unverhältnismäßig, weil die Interessen des Arbeitnehmers bei gerichtlicher Prüfung überwiegen.
  • Unwirksamkeit: Generell sind die Anforderungen der Gerichte an verhaltensbedingte Kündigungen hoch. Ohne schwere und schuldhafte Pflichtverletzung, Interessenabwägung und vorherige, ordnungsgemäße Abmahnung ist die verhaltensbedingte Kündigung i.d.R. unwirksam. Diese gilt ganz besonders bei fristlosen verhaltensbedingten Kündigung.

Begriff der verhaltensbedingten Kündigung

Eine verhaltensbedingte Kündigung gehört zu den drei nach dem Kündigungsschutzgesetz zulässigen Kündigungsarten. Nach der betriebsbedingten Kündigung ist die verhaltensbedingte Kündigung die zweithäufigste Kündigungsart. Etwa 20% aller Kündigungen sind verhaltensbedingt:

Häufigkeit verhaltensbedingte Kündigung

Die verhaltensbedingte Kündigung unterscheidet sich von der betriebsbedingten Kündigung, bei der wirtschaftliche Gründe auf Arbeitgeberseite (wie Auftragsrückgang oder Umstrukturierungen) eine Rolle spielen, und der personenbedingten Kündigung, die auf einer dauerhaften (z.B. krankheitsbedingten) Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers basiert. Geregelt sind alle drei Kündigungsarten in § 1 Kündigungsschutzgesetz – und eine ordentliche Kündigung ist nach dem KschG nur aus diesen drei Gründen möglich.

Die verhaltensbedingte Kündigung unterscheidet sich von der personenbedingten Kündigung durch die Ursache des Kündigungsgrundes: Bei einer verhaltensbedingten Kündigung handelt es sich um ein Verhalten des Arbeitnehmers, das er bewusst steuern kann. Im Gegensatz dazu beruht die personenbedingte Kündigung auf einem Verhalten des Arbeitnehmers, das außerhalb seiner Kontrolle liegt. Man könnte es auch so formulieren:

  • Ein personenbedingter Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Arbeitnehmer betriebsstörend handelt, weil er keine andere Handlungsweise wählen kann.
  • Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund liegt vor, wenn der Arbeitnehmer betriebsstörend handelt, obwohl er die Möglichkeit hätte, sich anders zu verhalten.

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Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung

Erste Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung ist, dass der Arbeitnehmer überhaupt unter das Kündigungsschutzgesetz fällt. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gilt für Arbeitsverhältnisse, bei denen der Arbeitnehmer mindestens sechs Monate im Unternehmen tätig ist – es sei denn, es handelt sich um einen „Kleinbetrieb“. Ein Kleinbetrieb ist ein Unternehmen, in dem regelmäßig weniger als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind. In solchen Betrieben findet das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung, was bedeutet, dass der Arbeitgeber keine sozialen Rechtfertigungsgründe für eine Kündigung anführen muss.

Als ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung be­zeich­net man die vom Ar­beit­ge­ber aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung wegen eines konkreten Verstoßes gegen arbeitsvertragliche Pflichten. Für eine wirksame ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung muss der Arbeitnehmer also schuldhaft gegen Pflichten verstoßen haben, die sich aus dem Arbeitsvertrag ergeben (Beispiele für verhaltensbedingte Kündigungen sind wiederkehrendes Zuspätkommen, Arbeitsverweigerung, oder Straftaten). Ein schwerwiegender Pflichtverstoß ist die wichtigste Voraussetzung der ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung – und eine, an der einige verhaltensbedingte Kündigungen vor Gericht scheitern.

Daneben muss auch eine “negative Prognose” und eine vorherige Abmahnung vorliegen (in seltenen Ausnahmen entbehrlich). Schließlich darf es kein milderes Mittel als die Kündigung geben und eine Interessenabwägung muss zugunsten des Arbeitgebers ausfallen. Auch daran scheitern viele verhaltensbedingte Kündigungen vor Gericht, z.B. weil eine Abmahnung als milderes Mittel ausreichend gewesen wäre, und der Arbeitgeber nicht gleich zu Kündigung hätte greifen müssen (dazu unten). Zu den einzelnen Voraussetzungen:

1. Schwerwiegender Pflichtverstoß des Arbeitnehmers

Voraussetzung ist zunächst ein schwerwiegender Pflichtverstoß des Arbeitnehmers. Die Entscheidungen der Arbeitsgerichte zum Pflichtverstoß lassen sich in folgende vier Gruppen unterteilen:

  • Leistungsbereich
  • Bereich der betrieblichen Ordnung 
  • Vertrauensbereich 
  • Arbeitsvertragliche Nebenpflichten

Pflichtverletzungen im Leistungsbereich

Es gibt zahllose Entscheidungen der Arbeitsgerichte zu den Pflichtverletzungen im Leistungsbereich. Eine eindeutige Regel, wann eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Pflichtverletzungen im Leistungsbereich berechtigt ist, gibt es aber nicht. Es kommt – insbesondere auch wegen der Merkmale “kein milderes Mittel als die Kündigung” und der “Interessenabwägung” (dazu unten) immer auf den Einzelfall an.

Allgemeines zum Leistungsbereich

Kündigungen wegen Pflichtverletzungen im Leistungsbereich kommen relativ häufig vor. Typische Beispiele sind unentschuldigtes Fehlen, Nichterscheinen zur Arbeit, laufende Unpünktlichkeit, sowie allgemeine Minder- oder Schlechtleistung (“Low Performance”). 

Die meisten dieser Pflichtverletzungen sind relativ eindeutig. Unentschuldigtes Fehlen oder ständiges zu spät kommen sind offensichtlich Pflichtverletzungen. Wenn sie oft genug vorkommen, sind sie irgendwann auch „schwerwiegend“. Daraus folgt aber noch nicht die Wirksamkeit einer Kündigung. Denn die Gerichte prüfen zusätzlich, ob eine Interessenabwägung erfolgt ist, eine Abmahnung erfolgt war und der Arbeitgeber mildere Mittel geprüft hat.

Komplizierter wird es bei allgemeiner Minder- oder Schlechtleistung (“Low Performance”). Die bloße Unzufriedenheit des Arbeitgebers mit den Leistungen des Arbeitnehmers rechtfertigt noch keine verhaltensbedingte Kündigung. Eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer eine echte Minder- oder Schlechtleistung als Pflichtverletzung konkret vorzuwerfen ist. Kann der Arbeitgeber nicht nachweisen, dass der Arbeitnehmer “nicht leistet, obwohl er könnte”, hat eine Kündigungsschutzklage vor Gericht gute Aussichten auf Erfolg.

Beispiel: Kündigung wegen Minderleistung

Kündigung wegen Minderleistung („Low Performance“). Grundsätzlich kann Schlecht- oder Minderleistung eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen (natürlich nur nach vorheriger Abmahnung). Zum Beispiel, wenn ein Arbeitnehmer nachweislich deutlich mehr Ausschuss produziert, höhere Feh­lerhäufig­keit hat oder einfach weniger Output produziert als seine Kollegen.

Vor Gericht muss aber der Arbeitgeber beweisen, dass der Beschäftigte erheblich schlechter als der Durchschnitt arbeitet. Was bedeutet dabei “erheblich”? Die Gerichte bejahen eine Schlecht- oder Minderleistung in der Regel dann, wenn der gekündigte Arbeitnehmer das Leistungsniveau über einen längeren Zeitraum um ein Drittel oder mehr unterschreitet.1 Dafür muss der Arbeitgeber die Leistungen des Arbeitnehmers über einen repräsentativen Zeitraum im Verhältnis zu vergleichbaren Kollegen darlegen. Und zwar so, dass das Gericht eine vorwerfbare Minderleistung erkennen kann. Dieser Beweis gelingt selten, sodass die Arbeitnehmer in vielen Fällen recht bekommen.  

Vorsicht bei Performance Improvement Plänen (PIP)

Zunehmend kommen vor einer Kündigung wegen „Low Performance“ sog. Performance Improvement Pläne (PIP) ins Spiel. Offiziell sind solche Pläne zur Leistungsverbesserung Maßnahmen, die die Arbeitsleistung eines angeblich leistungsschwachen Mitarbeiters (“Low Performers”) verbessern sollen. Dazu sollten eigentlich konkrete und realistische Ziele formuliert werden, die in einem bestimmten Zeitraum vom betroffenen Mitarbeiter umgesetzt werden müssen. Kann der Arbeitnehmer die Ziele nicht in dem im Plan festgelegten Zeitraum erreichen, kommt oft die Kündigung. Der PIP dient dann als Dokumentation für angebliche Leistungsmängel und stützt so die rechtliche Wirksamkeit der Kündigung. In der Realität dienen PIPs also in vielen Unternehmen als Instrumente zur Vorbereitung von Entlassungen. 

Eine plötzliche schlechte Leistungsbewertung mit PIP kann ein Signal für eine bevorstehende Kündigung sein. Erfolglose PIP bilden zwar nicht automatisch eine rechtliche Grundlage für eine Kündigung, da die Anforderungen für Kündigungen deutlich höher sind. Sie können aber in einem evtl. Prozess vor dem Arbeitsgericht der Dokumentation für angebliche Leistungsmängel dienen. Wichtig ist auch, dass Arbeitnehmer nicht verpflichtet oder gar gezwungen werden können, an einem PIP teilzunehmen. Weitere Details finden Sie in unserem Artikel zu PiP.

Pflichtverletzungen im Bereich der betrieblichen Ordnung 

Eine Störung des betrieblichen Bereichs betrifft u.a. das Verhalten gegenüber Kollegen und Kunden, z.B. Mobbing, Alkohol am Arbeitsplatznicht aber außerdienstliches Verhalten. Denn was ein Arbeitnehmer außerhalb des dienstlichen Bereichs macht, geht nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte den Arbeitgeber im Regelfall nichts an. Die Gerichte sind hier äußerst arbeitnehmerfreundlich, selbst bei extremen Verhaltensweisen des Arbeitnehmers. Die Gerichte haben zum Beispiel mehrfach entschieden, dass eine Kündigung wegen Nazi-Parolen eines Arbeitnehmers in dessen Freizeit den Arbeitgeber nicht ohne weiteres zur Kündigung berechtigen. Nur wenn der Arbeitgeber nachweist, dass das Verhalten des Arbeitnehmers den Betriebsfrieden stört oder Treuepflichten verletzt, kommt nach der Rechtsprechung eine Kündigung in Betracht. Sogar die strafrechtliche Bewertung des außerdienstlichen Verhaltens ist kündigungsrechtlich egal. Entscheidend ist das Maß der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung.

Strenger ist die Rechtsprechung bei “Tendenzunternehmen” und im öffentlichen Dienst, besonders bei Beamten. Diese müssen sich auch außerdienstlich mäßigen und zeigen, dass sie für die freiheitliche demokratische Grundordnung einstehen.

Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich

Beispiele für Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich sind Betrug und Diebstahl zu Lasten des Arbeitgebers, auch bei Kleinstbeträgen oder Arbeitszeitbetrug. Beispielsweise erachtete das BAG im Fall Emmely das Verhalten einer Kassiererin, die einen ihr nicht gehörenden Pfandbon im Wert von 1,30 Euro einlöste, als schwerwiegenden Pflichtverstoß. Unabhängig vom Wert des Pfandbon, sei hier das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Kassiererin verletzt worden (zur Interessenabwägung siehe unten).2 

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2. Verhaltensbedingte Kündigung nur mit Abmahnung

Eine häufige Frage ist, ob eine verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers rechtens ist. Eigentlich nicht – eine Abmahnung ist fast immer erforderlich.

Grundsatz: Keine Verhaltensbedingte Kündigung ohne Abmahnung

Grundsätzlich gilt: Bevor ein Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen kann, ist eine vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers erforderlich. Eine verhaltensbedingte Kündigung ohne Abmahnung ist unwirksam. Damit eine Abmahnung als Grundlage für eine spätere Kündigung dienen kann, muss diese erstmal selbst wirksam sein. Die Wirksamkeit der Abmahnung unterliegt klar definierten Anforderungen, die alle erfüllt sein müssen. Außerdem muss die Abmahnung – um eine Kündigung zu rechtfertigen – eine Pflichtverletzung betreffen, die der späteren Kündigung ähnlich oder vergleichbar ist. Nur dann kann die Abmahnung als Begründung für die Kündigung herangezogen werden.

Wichtig: Hat der Arbeitgeber eine bestimmte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers bereits abgemahnt, so hat er damit sein Recht auf eine Kündigung wegen dieses Verstoßes „verbraucht“. Der Arbeitgeber kann also nicht wegen derselben Pflichtverletzung erneut kündigen.

Mit einer Abmahnung schafft der Arbeitgeber möglicherweise die Voraussetzung für eine Kündigung. Deshalb sollte man eine Abmahnung nie auf die leichte Schulter nehmen. Sie sollten jede Abmahnung mit Ihrem Anwalt oder Gewerkschaftsvertreter besprechen und prüfen, ob die Abmahnung wirksam war. Falls nicht, sollte Ihr Anwalt Ihren Arbeitgeber auffordern, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen und dies schriftlich zu bestätigen.

Ausnahmefälle für verhaltensbedingte Kündigung ohne Abmahnung

In Ausnahmefällen kann eine verhaltensbedingte Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung wirksam sein. Dies ist jedoch laut Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur in zwei Konstellationen der Fall:

  • Verhaltensänderung nicht zu erwarten: Wenn bereits bei Ausspruch der Kündigung klar erkennbar ist, dass eine Änderung des Verhaltens selbst nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist. Wenn zum Beispiel ein Arbeitnehmer erklärt, sein Fehlverhalten in der Zukunft nicht ändern zu wollen, macht eine Abmahnung schlichtweg keinen Sinn.
  • Schwerwiegende Pflichtverletzung: Wenn es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass es dem Arbeitgeber objektiv unzumutbar ist, diese auch nur einmalig hinzunehmen. Diese Unzumutbarkeit muss auch für den Arbeitnehmer offensichtlich erkennbar sein. Das nimmt man beispielsweise regelmäßig bei Diebstahl, Beleidigung oder Körperverletzung am Arbeitsplatz an.

3. Interessenabwägung Arbeitnehmer – Arbeitgeber

Eine verhaltensbedingte Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein, um wirksam zu sein. Die Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen daher gegeneinander abgewogen werden. Das Ziel der Interessenabwägung ist es, zu beurteilen, ob die Kündigung in einem vernünftigen Verhältnis zum Fehlverhalten des Arbeitnehmers steht und ob der Arbeitgeber auf andere, weniger einschneidende Maßnahmen hätte zurückgreifen können. Die Interessensabwägung berücksichtigt sowohl die Schwere des Verstoßes als auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers und andere Umstände. In der Praxis zeigt sich, dass die Arbeitsgerichte Kündigungen oft als unverhältnismäßig ansehen, wenn der Arbeitnehmer bislang gute Arbeitsleistungen erbracht hat oder der Verstoß ein einmaliger, nicht gravierender Vorfall war.

Typische Argumente bzgl. Wirksamkeit einer Kündigung

Pro Arbeitnehmer: Zu Gunsten des Arbeitnehmers sind im Rahmen der Interessensabwägung beispielsweise folgenden Umstände zu berücksichtigen:

  • Früheres einwandfreies Verhalten
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Lebensalter
  • Unterhaltspflichten
  • Mitverschulden des Arbeitgebers

Pro Arbeitgeber: Zu Gunsten des Arbeitgebers wären im Rahmen der Interessensabwägung u.a. die folgenden Punkte relevant:

  • Vermögensschaden
  • Störungen im Betriebsablauf 
  • Wiederholungsgefahr
  • Schutz der Belegschaft
  • Imageschaden
Interessenabwägung für Gerichte oft ausschlaggebend

Die (gerichtliche) Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer macht hinsichtlich der Frage nach der Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung oft den entscheidenden Unterschied. Auch wenn ein schwerwiegender Pflichtverstoß vorliegt, kann die Kündigung dennoch unwirksam sein. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Interessen des Arbeitnehmers überwiegen und die Kündigung im Verhältnis zum Verstoß unverhältnismäßig erscheint. Die Arbeitsgerichte gehen hier sehr sorgfältig vor und prüfen im Einzelfall, ob die Kündigung als „letztes Mittel“ gerechtfertigt ist oder ob mildere Sanktionen – wie etwa eine Abmahnung oder eine Versetzung – ausreichend gewesen wären.

Beispiele aus der Rechtsprechung zur Interessensabwägung

Die Interessenabwägung ist entscheidend für die Wirksamkeit der verhaltensbedingten Kündigung. Beispiele aus der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, die die Bedeutung der Interessenabwägung verdeutlichen, sind unter anderem:

  • Einer Kassiererin („Emmely“) wurde fristlos gekündigt, weil sie zwei Pfandbons im Wert von 1,30 € eingelöst hatte, die nicht ihr gehörten. Zufälligerweise, nachdem sie an Streikmaßnahmen teilgenommen hatte. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Kündigung trotz des Pflichtverstoßes unverhältnismäßig war. Die lange Betriebszugehörigkeit (31 Jahre) und das ansonsten tadellose Verhalten der Mitarbeiterin überwogen in der Interessenabwägung. Die Kündigung war unwirksam.3
  • Ein Mitarbeiter hatte während der Arbeitszeit privat telefoniert, obwohl dies im Unternehmen untersagt war. Die fristlose Kündigung wurde vom BAG gekippt, da das Verhalten nicht gravierend genug war, um eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen – ohne vorherige Abmahnung. Die Kündigung war unwirksam.4
  • Ein Arbeitnehmer nutzte den betrieblichen Computer während der Arbeitszeit für private Zwecke (Online-Spiele, E-Mails). Obwohl er damit gegen eine klare betriebliche Regelung verstieß, stellte das Gericht fest, dass eine Abmahnung in diesem Fall ausreichend gewesen wäre. Die Kündigung war unwirksam.5
  • Ein Arbeitnehmer kam mehrmals unentschuldigt zu spät zur Arbeit, weil er seine Kinder zur Schule bringen musste. Die Kündigung wurde als unwirksam angesehen, weil keine Abmahnung erfolgt war und der Arbeitgeber keine Alternativen (z. B. Änderung der Arbeitszeit) geprüft hatte. Die Kündigung war unwirksam.6
  • Ein Verkäufer hatte einen Kunden als „blöden Penner“ bezeichnet. Trotz der groben Beleidigung sah das Gericht die Kündigung als nicht gerechtfertigt, weil die Situation angespannt war und der Mitarbeiter sich sofort entschuldigte. Die Kündigung war unwirksam.7
  • Ein Arbeitnehmer beleidigte einen Kollegen schwer. Dennoch erklärte das Gericht die Kündigung für unwirksam, da der Arbeitnehmer sich einsichtig zeigte, die Beleidigung im Affekt erfolgte und eine langjährige beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit vorlag.8
  • Ein 59-jähriger Mitarbeiter eines Bewachungsunternehmens war insgesamt vier Mal zu spät zur Arbeit – in 17 Jahren. Dafür hatte er bereits Abmahnungen erhalten – und dann die Kündigung. Im anschließenden Kündigungsschutzprozess entschied das Arbeitsgericht Berlin, dass die Kündigung unwirksam ist.9

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Abfindung bei verhaltensbedingter Kündigung

Im Gegensatz z.B. zu einer betriebsbedingten Kündigung erfolgt die verhaltensbedingte Kündigung meist aus Gründen, die der Arbeitnehmer selbst verursacht hat. Daher steht dem Arbeitnehmer bei einer wirksamen verhaltensbedingten Kündigung meist keine Abfindung zu. 

Aber: Viele verhaltensbedingte Kündigungen sind unwirksam. Und sobald ein Arbeitsgericht das festgestellt hat, ist die Kündigung erstmal “aus der Welt” – und die Frage nach der Abfindung reine Verhandlungssache. Zwar hat der Arbeitnehmer in diesem Fall ein Recht auf Weiterbeschäftigung und kann damit an seinen alten Arbeitsplatz zurück. Aber verhaltensbedingte Kündigungen haben oft eine Vorgeschichte. Und nach einem längeren Gerichtsverfahren haben vielfach beide Seiten – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – kein großes Interesse an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Da bietet sich eine “Verhandlungslösung” durch gerichtlichen Vergleich an. Dann gelten die üblichen Grundsätze zur Ermittlung der Abfindungshöhe. Am Ende ist das Ergebnis aber verhandlungsabhängig. Der Arbeitnehmer (bzw. sein Rechtsanwalt) muss gut verhandeln, um für den Arbeitnehmer das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

Manchmal ist der Arbeitgeber auch ohne gerichtliches Verfahren zur Zahlung einer Abfindung bereit, wenn die Kündigung – wahrscheinlich – gegen die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes verstößt. Auch hier gilt es, taktisch klug zu verhandeln, um mit guten Argumenten das Maximum für den Arbeitnehmer “rauszuholen”. In anderen Fällen gelingt dies aber nur vor Gericht (s.o.). Letztlich lässt sich festhalten, dass auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung gute Chancen bestehen, eine Abfindung heraus zu verhandeln.

Verhaltensbedingte Kündigung: Arbeitslosengeld und Sperrzeit

Auch bei verhaltensbedingter Kündigung kann grundsätzlich ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG I) bestehen. Allerdings verhängt die Agentur für Arbeit in der Regel eine Sperrzeit von bis zu zwölf Wochen. Dies bedeutet, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld für diesen Zeitraum ruht und sich die Bezugsdauer entsprechend verkürzt – man verliert also bis zu 3 Monatsgehälter. Eine Sperrzeit kann jedoch vermieden werden, wenn der Arbeitnehmer erfolgreich gegen die Kündigung vorgeht, beispielsweise durch eine Kündigungsschutzklage (diese muss übrigens innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht werden).

Sonderfall: Verhaltensbedingte „fristlose“ Kündigung

​Eine verhaltensbedingte Kündigung kann auch „fristlos“ (also außerordentlich) gekündigt werden. Diese Kündigung beendet bei Wirksamkeit das Arbeitsverhältnis sofort und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Für den Arbeitnehmer bedeutet die fristlose Kündigung den sofortigen Verlust von Arbeitsplatz und Einkommen. Zudem kann die Bundesagentur für Arbeit eine Sperrzeit von bis zu zwölf Wochen für den Bezug von Arbeitslosengeld verhängen​.

Allerdings sind die Anforderungen an eine fristlose Kündigung sehr streng. Die Rechtsprechung verlangt, dass es dem Arbeitgeber “unzumutbar” ist, das Arbeitsverhältnis auch nur für einen weiteren Tag fortzusetzen. Daher ist es erforderlich, dass ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten vorliegt, das eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Beispiele dafür sind Diebstahl, Betrug, Unterschlagung, unerlaubter Urlaubsantritt, vorgetäuschte Krankheit, Verstöße gegen Arbeitszeitvorschriften, Mobbing, sexuelle Belästigung sowie Arbeitsverweigerung. Erst wenn eine solche schwerwiegende Pflichtverletzung vorliegt und die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfällt, kann eine fristlose Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen rechtmäßig erfolgen.

Eine wirksame verhaltensbedingte „fristlose“ Kündigung ist eher die Ausnahme. Meist gibt es bessere Argumente gegen die Wirksamkeit. Und daher sollte man sich unbedingt gegen eine fristlose verhaltensbedingte Kündigung zur Wehr setzten. Auch, weil die Agentur für Arbeit in diesen Fällen in aller Regel eine Sperrzeit von zwölf Wochen verhängt. Dies bedeutet, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld für diesen Zeitraum ruht und sich die Bezugsdauer entsprechend verkürzt – man verliert also bis zu 3 Monatsgehälter.

Eine Sperrzeit kann jedoch vermieden werden, wenn der Arbeitnehmer erfolgreich gegen die Kündigung vorgeht, beispielsweise durch eine Kündigungsschutzklage, die innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht werden muss (dazu unten).

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Was tun gegen eine verhaltensbedingte Kündigung?

Wenn man eine verhaltensbedingte Kündigung erhält, sollte man schnell handeln. Zunächst ist es wichtig, das Kündigungsschreiben sorgfältig zu prüfen, die Klagefrist (3 Wochen ab Zugang der Kündigung) zu notieren und umgehend rechtlichen Rat einzuholen. Idealerweise spricht man die Kündigung sofort mit einem auf Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwalt durch, um seine Optionen bewerten zu können.

Innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung muss eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht werden, da die Kündigung sonst als wirksam gilt.
Die meisten Kündigungsschutzklagen werden schnell (innerhalb von 1-3 Monaten) erledigt und die Erfolgsaussichten sind für Arbeitnehmer in der Regel gut. Mehr dazu in unserem Artikel über Kündigungsschutzklagen.

Zudem sollte man alle relevanten Unterlagen und Beweismittel sichern, wie etwa Abmahnungen, E-Mails oder Zeugenaussagen. So lässt sich die eigene Position stärken und die Chancen auf eine hohe Abfindung erhöhen.

Häufig gestellte Fragen (FAQs)

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  1. BAG, v. 11.12.2003, 2 AZR 667/02
    ↩︎
  2. Fall „Emmely“, BAG v. 10.06.2010, 2 AZR 541/09
    ↩︎
  3. Fall „Emmely“, BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 ↩︎
  4. BAG, v. 07.07.2005 – 2 AZR 581/04 ↩︎
  5. BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 258/11 ↩︎
  6. LAG Schleswig-Holstein v. 24.01.2013 – 5 Sa 239/12 ↩︎
  7. LAG Hessen, v. 15.06.2011 – 6 Sa 1226/10 ↩︎
  8. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23.10.2009 – 6 Sa 233/09 ↩︎
  9. Arbeitsgericht Berlin v. 11. Oktober 2023 – 29 Ca 2643/23 ↩︎

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