Verhaltensbedingte Kündigung: Voraussetzungen und Beispiele

  • Timo Sauer
  • 20. August 2024
  • 19:53
Verhaltensbedingte Kündigung

Der Arbeitgeber kann verhaltensbedingt kündigen, wenn eine schwere und schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers vorliegt. Diese Pflichtverletzung kann in unterschiedlichen Bereichen liegen, zum Beispiel im Leistungsbereich (z.B. dauerndes Zuspätkommen) oder bei der “betrieblichen Ordnung” (z.B. Verstoß gegen Alkoholverbot). Hierzu gibt es zahlreiche Entscheidungen der Arbeitsgerichte. Eine klare Definition dafür, unter welchen Umständen eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt ist, existiert jedoch nicht. Allerdings kann man sagen, dass die Anforderungen der Gerichte an eine wirksame verhaltensbedingte Kündigung sehr hoch sind. Und im Normalfall ist auch vorher eine Abmahnung erforderlich.

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Das Wichtigste auf einen Blick:
  • Pflichtverletzung erforderlich: Ein Arbeitgeber kann einen Arbeitnehmer “verhaltensbedingt” kündigen, wenn dem Arbeitnehmer eine schwere und schuldhafte Pflichtverletzung vorzuwerfen ist 
  • Abmahnung: Normalerweise muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer für sein Verhalten  abgemahnt haben, bevor der Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen darf.
  • Unwirksamkeit: Ohne vorherige ordnungsgemäße Abmahnung ist die Kündigung i.d.R. unwirksam.

Verhaltensbedingte Kündigung – was ist das? 

Als „ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung“ be­zeich­net man ei­ne vom Ar­beit­ge­ber aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung nach § 1 Kündigungsschutzgesetz, aufgrund eines konkreten Verstoßes gegen die arbeitsvertraglich festgelegten Pflichten. Der Arbeitnehmer muss also zunächst unter das Kündigungsschutzgesetz fallen. Damit die Kündigung trotz  Kündigungsschutzgesetz wirksam ist, muss der Arbeitnehmer schuldhaft gegen Pflichten verstoßen haben, die sich aus dem Arbeitsvertrag ergeben (z.B. wiederkehrendes Zuspätkommen, Arbeitsverweigerung, Straftaten). Dieser “schwerwiegende Pflichtverstoß”  ist die wichtigste Voraussetzung – und die, um die bei der verhaltensbedingten Kündigung am meisten gestritten wird. Daneben muss auch eine “negative Prognose” und eine vorherige Abmahnung vorliegen (in seltenen Ausnahmen entbehrlich), es darf kein milderes Mittel als die Kündigung geben und eine Interessenabwägung muss zugunsten des Arbeitgebers ausfallen. 

Wann ein Pflichtverstoß so schwerwiegend ist, dass er eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigt, ist nicht eindeutig definiert. Jedoch lassen sich die vielfältigen Fälle und Entscheidungen der Arbeitsgerichte in folgende vier Gruppen von Pflichtverletzungen unterteilen:

  • Leistungsbereich
  • Im Bereich der betrieblichen Ordnung 
  • Im Vertrauensbereich 
  • Bei den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten

Wichtig: Insgesamt gibt es drei Kündigungsgründe nach dem Kündigungsschutzgesetz. Von der verhaltensbedingten Kündigung muss stets die personenbedingte & betriebsbedingte Kündigung abgegrenzt werden.

Hinweis: Die einzelnen Kündigungsgründe sind stets voneinander abzugrenzen. Wann der Arbeitgeber wie kündigen kann lesen Sie im Detail in unserer Übersicht über die Kündigungsgründe im Arbeitsrecht.

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Verhaltensbedingte Kündigung – Beispiele

Gerade in den Gruppen des Leistungsbereichs, Bereichs der betrieblichen Ordnung und im Vertrauensbereich gibt es typische Fallgruppen der verhaltensbedingten Kündigung:

1. Pflichtverletzungen im Leistungsbereich

Kündigungen wegen Pflichtverletzungen im Leistungsbereich kommen relativ häufig vor. Typische Beispiele sind unentschuldigtes Fehlen, zu späte Krankmeldungen, laufende Unpünktlichkeit,  sowie die Kündigung wegen allgemeiner Schlechtleistung (“Low Performance”).  

Es gibt dazu zahllose Entscheidungen der Arbeitsgerichte. Eine eindeutige Regel, wann eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Pflichtverletzungen im Leistungsbereich berechtigt ist, gibt es aber nicht. Es kommt – insbesondere auch wegen der Merkmale “kein milderes Mittel als die Kündigung”  und der “Interessenabwägung” immer auf den Einzelfall an. Klar ist aber, dass allein die Unzufriedenheit des Arbeitgebers mit den Leistungen des Arbeitnehmers noch keine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigt. Die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen setzt voraus, dass dem Arbeitnehmer eine echte Minderleistung als Pflichtverletzung konkret vorzuwerfen ist. Kann der Arbeitgeber nicht nachweisen, dass der Arbeitnehmer “nicht leistet, obwohl er könnte”, hat eine Kündigungsschutzklage vor Gericht sehr gute Aussichten auf Erfolg. 

Häufiger Fall: Kündigung wegen “Low Performance”

Ein häufiger Spezialfall ist die Kündigung wegen allgemein schlechter Leistung (“Low Performance”). Grundsätzlich kann eine schlechte Arbeitsleistung eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen (natürlich nur nach vorheriger Abmahnung). Vor Gericht muss der Arbeitgeber aber beweisen, dass der Beschäftigte erheblich schlechter als der Durchschnitt arbeitet. Was bedeutet dabei “erheblich”? Die Gerichte bejahen eine Schlecht- oder Minderleistung in der Regel dann, wenn der gekündigte Arbeitnehmer das Leistungsniveau über einen längeren Zeitraum um ein Drittel oder mehr unterschreitet (BAG, v.11.12.2003, Az: 2 AZR 667/02). Dafür muss der Arbeitgeber die Leistungen des Arbeitnehmers über einen repräsentativen Zeitraum im Verhältnis zu vergleichbaren Kollegen darlegen. Und zwar so, dass das Gericht eine vorwerfbare Minderleistung erkennen kann. Das gelingt selten, sodass die Arbeitnehmer in vielen Fällen recht bekommen.  

Vorsicht bei “PiPs”

Oft kommt vor einer Kündigung wegen “Low Performance” auch ein sog. Performance Improvement Plan (PIP) ins Spiel. Offiziell sind solche Pläne zur Leistungsverbesserung Maßnahmen, die die Arbeitsleistung eines angeblich leistungsschwachen Mitarbeiters (“Low Performers”) verbessern sollen. Dazu sollten eigentlich konkrete und realistische Ziele formuliert werden, die in einem bestimmten Zeitraum vom betroffenen Mitarbeiter umgesetzt werden müssen. Kann der Arbeitnehmer die Ziele nicht in dem im PiP festgelegten Zeitraum erreichen, kommt oft die Kündigung. Der PIP dient dann als Dokumentation für angebliche Leistungsmängel und stützt so die rechtliche Wirksamkeit der Kündigung. In der Realität dienen PIPs also in vielen Unternehmen als Instrumente für Entlassungen. 

Eine plötzliche schlechte Leistungsbewertung mit PIP kann ein Signal für eine bevorstehende Kündigung sein. Erfolglose PIP bilden zwar nicht automatisch eine rechtliche Grundlage für eine Kündigung, da die Anforderungen für Kündigungen deutlich höher sind. Sie können aber in einem evtl. Prozess vor dem Arbeitsgericht der Dokumentation für angebliche Leistungsmängel dienen. Wichtig ist auch, dass Arbeitnehmer nicht verpflichtet sind – oder gar gezwungen werden können –  an einem PIP teilzunehmen. Details finden Sie in unserem Blogartikel zu PiP.

2. Pflichtverletzungen im Bereich der betrieblichen Ordnung 

Eine Störung des betrieblichen Bereichs betrifft u.a. das Verhalten gegenüber Kollegen und Kunden, z.B. Mobbing, Alkohol am Arbeitsplatz – nicht aber außerdienstliches Verhalten. Denn was ein Arbeitnehmer außerhalb des dienstlichen Bereichs macht, geht nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte den Arbeitgeber im Regelfall nichts an. Die Gerichte sind hier äußerst arbeitnehmerfreundlich, selbst bei extremen Verhaltensweisen des Arbeitnehmers. Die Gerichte haben zum Beispiel mehrfach entschieden, dass eine Kündigung wegen Nazi-Parolen eines Arbeitnehmers in dessen Freizeit den Arbeitgeber nicht ohne weiteres zur Kündigung berechtigen. Nur wenn der Arbeitgeber nachweist, dass das Verhalten des Arbeitnehmers den Betriebsfrieden stört oder Treuepflichten verletzt, kommt nach der Rechtsprechung eine Kündigung in Betracht. Sogar die strafrechtliche Bewertung des außerdienstlichen Verhaltens ist kündigungsrechtlich egal. Entscheidend ist das Maß der arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung. Strenger ist die Rechtsprechung bei “Tendenzunternehmen” und im öffentlichen Dienst, besonders bei Beamten. Diese müssen sich auch außerdienstlich mäßigen und zeigen, dass sie für die freiheitliche demokratische Grundordnung einstehen.

3. Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich

Beispiele für Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich sind Betrug und Diebstahl zu Lasten des Arbeitgebers, auch bei Kleinstbeträgen oder Arbeitszeitbetrug. Beispielsweise erachtete das BAG im Fall Emmely das Verhalten einer Kassiererin, die einen ihr nicht gehörenden Pfandbon im Wert von 1,30 Euro einlöste, als schwerwiegenden Pflichtverstoß. Unabhängig vom Wert des Pfandbon, sei hier das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Kassiererin verletzt worden. 

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Verhaltensbedingte Kündigung mit oder ohne Abmahnung?

Eine häufige Frage ist, ob eine verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers rechtens ist. Grundsätzlich ja, doch es gibt auch Ausnahmen:

Grundsatz: Keine Verhaltensbedingte Kündigung ohne Abmahnung

Grundsätzlich gilt: Bevor ein Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung aussprechen kann, ist eine vorherige Abmahnung des Arbeitnehmers erforderlich. Ohne eine solche ordnungsgemäß erfolgte Abmahnung ist die Kündigung unwirksam. Damit eine Abmahnung als Grundlage für eine spätere Kündigung dienen kann, muss diese erstmal selbst wirksam sein. Die Wirksamkeit einer Abmahnung unterliegt bestimmten Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Um eine Kündigung zu rechtfertigen, muss die Abmahnung eine Pflichtverletzung betreffen, die der späteren Kündigung ähnlich oder vergleichbar ist. Nur dann kann die Abmahnung als Begründung für die Kündigung herangezogen werden.

Wichtig: Hat der Arbeitgeber eine bestimmte Pflichtverletzung des Arbeitnehmers bereits abgemahnt, so hat er damit sein Recht auf eine Kündigung wegen dieses Verstoßes „verbraucht“. Der Arbeitgeber kann also nicht wegen derselben Pflichtverletzung erneut kündigen.

Mit einer Abmahnung schafft der Arbeitgeber möglicherweise die Voraussetzung für eine Kündigung. Deshalb sollte man eine Abmahnung nie auf die leichte Schulter nehmen. Sie sollten jede Abmahnung mit Ihrem Anwalt oder Gewerkschaftsvertreter besprechen und prüfen, ob die Abmahnung wirksam war. Falls nicht, sollte Ihr Anwalt Ihren Arbeitgeber auffordern, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen und dies schriftlich zu bestätigen.

Ausnahmefall: Verhaltensbedingte Kündigung ohne Abmahnung

In Ausnahmefällen kann eine verhaltensbedingte Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung wirksam sein. Dies ist jedoch laut Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur in zwei Situationen der Fall:

  • Wenn bereits bei Ausspruch der Kündigung klar erkennbar ist, dass eine Änderung des Verhaltens selbst nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist. Wenn zum Beispiel ein Arbeitnehmer erklärt, sein Fehlverhalten in der Zukunft nicht ändern zu wollen, macht eine Abmahnung schlichtweg keinen Sinn.
  • Wenn es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass es dem Arbeitgeber objektiv unzumutbar ist, diese auch nur einmalig hinzunehmen. Diese Unzumutbarkeit muss auch für den Arbeitnehmer offensichtlich erkennbar sein. Das nimmt man beispielsweise regelmäßig bei Diebstahl, Beleidigung oder Körperverletzung am Arbeitsplatz an.

Interessenabwägung: Wann ist verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt?

Eine verhaltensbedingte Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein, um wirksam zu sein. Die Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen daher gegeneinander abgewogen werden. Zu Gunsten des Arbeitnehmers sind beispielsweise folgenden Umstände zu berücksichtigen:

  • Früheres einwandfreies Verhalten
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Lebensalter
  • Unterhaltspflichten
  • Mitverschulden des Arbeitgebers

Zu Gunsten des Arbeitgebers wären im Rahmen der Abwägung u.a. die folgenden Punkte relevant:

  • Vermögensschaden
  • Störungen im Betriebsablauf 
  • Wiederholungsgefahr
  • Schutz der Belegschaft
  • Imageschaden

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Verhaltensbedingte Kündigung: Abfindung

Im Gegensatz z.B. zu einer betriebsbedingten Kündigung erfolgt die verhaltensbedingte Kündigung  i.d.R. aus Gründen, die der Arbeitnehmer “quasi verursacht” hat. Daher steht dem Arbeitnehmer bei einer wirksamen (!) verhaltensbedingten Kündigung normalerweise keine Abfindung zu. 

Aber: Viele verhaltensbedingte Kündigungen sind unwirksam. Und sobald ein Arbeitsgericht das festgestellt hat, ist die Kündigung erstmal “aus der Welt” – und die Frage nach der Abfindung reine Verhandlungssache. Zwar hat der Arbeitnehmer in diesem Fall ein Recht auf Weiterbeschäftigung und kann damit an seinen alten Arbeitsplatz zurück. Aber verhaltensbedingte Kündigungen haben oft eine Vorgeschichte. Und nach einem längeren Gerichtsverfahren haben vielfach beide Seiten – Arbeitnehmer und Arbeitgeber –  kein großes Interesse an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Da bietet sich eine “Verhandlungslösung” durch gerichtlichen Vergleich an. Dann gelten die üblichen Grundsätze zur Ermittlung der Abfindungshöhe. Am Ende ist das Ergebnis aber verhandlungsabhängig. Der Arbeitnehmer (bzw. sein Rechtsanwalt) muss gut verhandeln, um für den Arbeitnehmer das bestmögliche Ergebnis “rauszuholen”.

Manchmal ist der Arbeitgeber auch ohne gerichtliches Verfahren zur Zahlung einer Abfindung  bereit, wenn die Kündigung offensichtlich gegen die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes verstößt. Auch hier gilt es, taktisch klug zu verhandeln, um mit guten Argumenten das Maximum für den Arbeitnehmer “rauszuholen”. In anderen Fällen gelingt dies aber nur vor Gericht (s.o.).  Letztlich lässt sich festhalten, dass auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung gute Chancen bestehen, eine Abfindung heraus zu verhandeln.

Darf der Arbeitgeber auch fristlos kündigen?

Bisher wurden die Voraussetzungen der ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung behandelt. Hier muss immer die Kündigungsfrist eingehalten werden (§ 622 BGB). Doch wie sieht es eigentlich mit der fristlosen Kündigung aus? Insgesamt lässt sich sagen, dass die Anforderungen an eine fristlose Kündigung sehr streng sind. Es wird verlangt, dass es dem Arbeitgeber “unzumutbar” ist – auch nur für einen weiteren Tag – das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Daher ist es erforderlich, dass ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten vorliegt, das eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann. Beispiele dafür sind Diebstahl, Betrug, Unterschlagung, unerlaubter Urlaubsantritt, vorgetäuschte Krankheit, Verstöße gegen Arbeitszeitvorschriften, Mobbing, sexuelle Belästigung sowie Arbeitsverweigerung. Erst wenn eine solche schwerwiegende Pflichtverletzung vorliegt und eine Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfällt, kann eine fristlose Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen rechtmäßig erfolgen.

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